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Vitalstoffe 1/2020

V italstoffe Philipp

V italstoffe Philipp Gebhardt, Frank Ingwersen Omega-3-Fettsäuren als alternative und komplementäre Therapieoption bei Depressionen Depressionen sind psychische Störungen, die durch Symptome wie z. B. gedrückte Stimmung, Grübeln und Antriebsminderung gekennzeichnet sind. Eine entsprechende Symptomatik kann nach heutigem Erkenntnisstand ebenfalls durch Entzündungsprozesse und die dabei wirksamen Zytokine (Peptidhormone) hervorgerufen werden. Aufgrund ihrer antientzündlichen Wirkung werden Omega-3-Fettsäuren als alternative und komplementäre Therapieoption bei Depressionen untersucht. Studien im klinischen Umfeld konnten eine deutliche antidepressive Wirkung herausstellen. Bei Depressionen treten häufig zusätzlich körperliche Beschwerden auf, durch die depressiv Erkrankte meist in ihrer gesamten Lebensführung eingeschränkt sind, sodass es ihnen nicht oder nur schwer gelingt, alltägliche Aufgaben zu bewältigen. Durch Selbstzweifel, Konzentrationsstörungen und Interessensverlust sind die Betroffenen häufig in ihrem Selbstwertgefühl und in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt. Es kommt zu einem sozialen Rückzug, der mit einem hohen Leidensdruck einhergeht. Auch bei gesunden Menschen können z. B. im Zusammenhang mit einer Verlusterfahrung Beschwerden auftreten, die sich in ihrer Erscheinung nicht von einer Depression unterscheiden und meist von allein wieder vorübergehen. Eine Erkrankung liegt dann vor, wenn die Symptomatik unverhältnismäßig lang anhält bzw. in Schwere und Dauer in einem unangemessenen Verhältnis zu den symptomauslösenden Faktoren steht. Die Prävalenz von Depressionen wird in Deutschland im Bereich von 8,1% angenommen, sie liegt bei Frauen bei etwa 10,2% und bei Männern bei etwa 6,1% (Abb. 1) (1). Obwohl die Ursachen depressiver Erkrankungen komplex sind, gilt es als gesichert, dass die Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin entscheidend in die Pathogenese involviert sind. Pharmakotherapien, die den Stoffwechsel der Neurotransmitter beeinflussen, können entsprechende Symptome verbessern. Da jedoch etwa ein Drittel der Patienten nicht oder nur unzureichend auf die Medikamente ansprechen, kann nicht abschließend geklärt werden, inwieweit die Transmittersysteme ursächlich an der Ätiologie beteiligt sind (2). Nach heutigem Kenntnisstand scheinen ebenfalls Entzündungsprozesse und die dabei wirksamen Zytokine eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Depressionen zu spielen, da bei depressiven Menschen erhöhte Werte bestimmter Entzündungsmarker gemessen werden und pro-inflammatorische Zytokine Symptome einer Depression hervorrufen können (3). Omega-3-Fettsäuren Die Entstehung einer entzündungsförderlichen Stoffwechsellage wird unter anderem auf einen hohen Anteil an Omega-6-Fettsäuren in der Nahrung Omega_3_Depression.ai 4 13.10.2019 13:18:03 70-79 60-69 50-59 40-49 30-39 4,2% 4,5% 5,3% 6,1% 7,0% 7,7% 18-29 8,0% Alter 0,0% 2,0% 4,0% 6,0% 8,0% 10,0% Frauen Männer 9,8% 10,4% 9,9% 10,5% 11,8% Abb. 1: Prävalenz von Depressionen in Deutschland in verschiedenen Altersklassen (Daten der DEGS1, Robert Koch-Institut (2013), (1)) ω-6/ω-3- Verhältnis Proentzündliche Stoffwechsellage Chronischdegenerative Erkrankungen vor ≥ 10.000 Jahren 1950 2020 1:1 10:1 20:1 +/- + ++ fehlend endemisch Abb. 2: Man nimmt an, dass in der Nahrung des Menschen vor dem Beginn des Ackerbaus Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren in einem ausgeglichenen Verhältnis enthalten waren. Durch die moderne Ernährung werden meist deutlich mehr Omega-6-Fettsäuren zugeführt. Ein hohes Omega-6-zu-Omega-3-Verhältnis begünstigt Entzündungsprozesse und wird mit der Entstehung von chronisch-degenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht (nach 4). 48

Omega 3 zurückgeführt. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge waren in der Nahrung des Menschen vor etwa 10.000 Jahren, vor dem Beginn des Ackerbaus, Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren zu etwa gleichen Teilen enthalten. Mit der Industrialisierung der Viehzucht wurde die Verfügbarkeit von Omega-3-Fettsäuren weiter eingeschränkt, da das heutige Futter von Nutztieren meist auf Getreide basiert und einen deutlich höheren Anteil an Omega-6-Fettsäuren aufweist als die natürliche, auf Grünpflanzen basierende Nahrung. Ein hohes Omega-6-zu-Omega-3-Verhältnis begünstigt demnach entzündliche Vorgänge und wird mit der Entstehung von chronisch-degenerativen Erkrankungen in Verbindung gebracht (Abb. 2) (4). Sowohl Omega-6- als auch Omega- 3-Fettsäuren sind ungesättigte Fettsäuren, die sich dadurch unterscheiden, dass die letzte Doppelbindung in der Kohlenstoffkette bei der sechstletzten („ω-6“) bzw. drittletzten („ω-3“) C-C- Bindung vorliegt. Mit der Nahrung zugeführte Fettsäuren werden entweder zur Energiegewinnung verstoffwechselt, in Zellmembranen eingebaut oder zur Synthese verschiedener Gewebshormone herangezogen. Dabei werden Omega- 6-Fettsäuren durch bestimmte Enzyme über Arachidonsäure in überwiegend entzündungsfördernde Signalmoleküle (Serie-II-Prostaglandine) umgewandelt. Die Enzyme, die Arachidonsäure aus Omega-6-Fettsäuren synthetisieren, sind ebenfalls in die Synthese der essentiellen Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) aus der Omega-3-Fettsäure α-Linolensäure involviert. Ein höherer Anteil an α-Linolensäure ist deshalb von Vorteil, da das verantwortliche Enzymsystem in der Folge weniger Arachidonsäure herstellt und vermehrt EPA und DHA bildet. EPA und DHA sind vor allem in Fischölen direkt enthalten („marine Omega- 3-Fettsäuren“), können aber auch aus bestimmten Algen hergestellt werden. Da die Umwandlungsraten für EPA und DHA aus α-Linolensäure als gering eingeschätzt werden, wird eine zusätzliche Zufuhr empfohlen. Die marinen Omega- 3-Fettsäuren werden aufgrund ihrer positiven Gesundheitseffekte im klinischen Umfeld untersucht. In einer im September 2019 veröffentlichen Leitlinie wurde Fischöl von der amerikanischen Herzgesellschaft (American Heart Association, AHA) zur Therapie der Hypertriglyceridämie empfohlen. Nach Daten aus insgesamt 17 Studien geht man davon aus, dass erhöhte Triglyceridspiegel (200 – 499 mg/dl) durch die Einnahme von 4 g EPA und DHA um 20 – 30% gesenkt werden können. Bei stark erhöhten Triglyceridspiegeln (≥ 500 mg/dl) ist demnach eine Senkung um mehr als 30% möglich (5). Im Zusammenhang mit Herz- und Gefäßerkrankungen konnte ein reduziertes Risiko von Arrhythmien und Thrombosen und eine Verringerung atherosklerotischer Gefäßveränderungen aufgezeigt werden. EPA und DHA tragen nachweislich zur Verbesserung der Endothelfunktion und zur Verringerung eines Bluthochdrucks bei und können Entzündungsprozesse in günstiger Weise beeinflussen. Bei psychischen Störungen konnte unter anderem eine Verbesserung der Serotoninwirkung, eine Modulation der Dopaminfunktion und ein positiver Einfluss auf die zerebrale Durchblutung herausgestellt werden (6). EPA und DHA bei Depressionen Verschiedene Untersuchungen konnten den Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA eine deutliche Wirksamkeit bei Depressionen bestätigen (Abb. 3). Die antidepressive Wirkung scheint dabei davon abhängig zu sein, welche der Omega- 3-Fettsäuren bzw. in welchem Verhältnis diese supplementiert werden. Ungesättigte Fettsäuren bilden einen mengenmäßig relevanten Bestandteil des Gehirns. Omega_3_Depression.ai 2 21.11.2019 07:31:35 Omega_3_Depression.ai 5 21.11.2019 07:33:07 Pharmakotherapie: Cipriani et al. 2018 SMD: 0,30 Verhaltenstherapie: Cuijpers et al. 2016 0,75 Omega-3-Fettsäuren: Appleton et al. 2006 Freeman et al. 2006 0,13 0,25 Lin et al. 2007 Kraguljac et al. 2009 Martins et al. 2009 0,61 0,47 0,29 Appleton et al. 2010 Martins et al. 2011 Martins et al. 2011 0,10 0,23 0,06 Bloch et al. 2012 Bloch et al. 2013 Giuseppe et al. 2014 0,11 0,01 0,56 Appleton et al. 2015 Yang et al. 2015 Mocking et al. 2016 0,30 0,65 0,40 Schefft et al. 2017 Bai et al. 2018 0,19 0,20 0 0,28 1 Verbesserung der Symptome (SMD) Abb. 3: Einschätzung der Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren bei Depressionen anhand von Übersichtsarbeiten, im Vergleich zu Pharmakotherapie und Verhaltenstherapie, dargestellt als Normierte Differenz der Mittelwerte (engl. Standard Mean Difference, SMD) (nach 7). Studien mit EPA: Peet & Horrobin 2002 Nemets et al. 2002 Frangou et al. 2006 Peet & Horrobin 2002 Peet & Horrobin 2002 Mischoulon et al. 2009 Frangou et al. 2006 Su et al. 2003 Nemets et al. 2006 Su et al. 2008 Da Silva et al. 2008 Da Silva et al. 2008 % EPA: 100 100 100 100 100 100 100 67 67 65 60 60 0 0,56 1,3 Verbesserung der Symptome (SMD) Abb. 4: Einschätzung der Wirksamkeit von Omega-3-Fettsäuren mit erhöhtem EPA-Gehalt bei Depressionen, dargestellt als Normierte Differenz der Mittelwerte (engl. Standard Mean Difference, SMD) (nach 10). April 2020 49

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