Vakuumtechnik Schraubenspindelvakuumpumpen vektoren und innere Energien. Diese Annahme ermöglicht es, größere Systeme im technischen Maßstab zu untersuchen. Jeder einzelne Zeitschritt unterliegt zwar einer großen statistischen Unsicherheit, die jedoch über eine zeitliche Mittelung von vielen Zeitschritten sukzessive reduziert werden kann. Die Teilchen-Wand-Interaktion folgt dem oben beschriebenen diffusen Wandmodell. Verlässt ein Teilchen das Simulationsgebiet während des Bewegungsschritts, wird dieses aus der Simulation eliminiert. An den offenen Rändern werden zu Beginn jedes Zeitschritts neue Teilchen auf Basis der Randbedingungen erzeugt. [Bir94] Die makroskopischen Größen wie Druck, Temperatur und Strömungsgeschwindigkeit leiten sich anschließend aus der Teilchenverteilung mit den jeweiligen Teilchenmassen, dem Impuls und der entsprechenden Ener gie ab. Diese Methode nutzte bereits Sazhin, um eine druckgetriebene Strömung, ausgehend von einem Hochdruckreservoir mit Druck p 1 und Temperatur T 1 durch einen Kanal mit einer Dreiecksstruktur auf den Kanalwänden in ein perfektes Vakuum (p 2 = 0) zu untersuchen [Saz20]. Ein exemplarisches Simulationsgebiet ist in Abb. 6 abgebildet. Der Kanal wird als wesentlich breiter als hoch angesehen, so dass eine 2D- Strömung betrachtet wird. Die Strichpunktlinie zeigt eine Symmetrieebene an, so dass beide Berandungen die gleiche Oberflächenstruktur aufweisen. In Abb. 7 ist der Massenstrom durch den Kanal mit Oberflächenstrukturen im Verhältnis zu dem Massenstrom, der sich mit glatten Wänden bei gleicher Spalthöhe einstellt, als Funktion des Spalteintrittsdruckes p 1 für verschiedene Profilwinkel α = β dargestellt. In Abb. 7a wird dies für ein Längen- zu Höhenverhältnis von eins dargestellt, was näherungsweise einer Blendenströmung entspricht. Dabei ist zu erkennen, dass alle vier Kurven mit fallendem Druck eine erhöhte Drosselwirkung hervorrufen, was analog zu Abb. 3 damit zu begründen ist, dass der Anteil der Teilchen-Wand-Interaktionen ansteigt. Weiterhin ist die Drosselwirkung von der Form der Oberflächenstruktur abhängig. Ein sehr breiter Profilwinkel bewirkt nur eine geringfüge Verringerung des Massenstrom, während ein Profilwinkel α = β = 45° bereits bei der Blendenströmung eine Verringe- Abb. 6: Simulationsgebiet für eine druckgetriebene Strömung durch einen Kanal mit strukturierten Oberflächen a) L/h = 1 b) L/h = 10 Abb. 7: Massenstrom durch einen Kanal mit Oberflächenstrukturen bezogen auf den Massenstrom durch einen Kanal mit glatten Wänden als Funktion des Eintrittsdrucks p 1 für verschiedene Profilwinkel α = β [Saz20] rung des Durchsatzes von etwa 10 % hervorruft. Bei weiterer Verringerung des Profilwinkels stagniert der Verlauf. Dies ist ebenfalls in Abb. 7b zu erkennen, in der die gleiche Situation für ein Längen- zu Höhenverhältnis von zehn gezeigt wird und die Moleküle so einen deutlich längeren Kanal durchqueren müssen. Hier kann für kleinere Profilwinkel bereits eine Verringerung von etwa 25 % erzielt werden. Weiterhin fällt auf, dass der Effekt für steigende Eintrittsdrücke kleiner wird, so dass eine Übertragung auf die Vakuumpumpe insbesondere für die Niederdruckseite der Maschine interessant ist. Dadurch ergeben sich vielversprechende Synergiemöglichkeiten mit dem zuvor beschriebenen Ansatz von Kösters und Eickhoff, da größere Maschinenspalte auf der Niederdruckseite realisiert werden könnten, um eine Überkompression beim Anfahren zu verhindern. Sobald der Druck auf der Niederdruckseite klein genug ist, würde die vergrößerte Spaltgröße mithilfe der Oberflächenstrukturen kompensiert, indem der Massendurchsatz nochmals weiter verringert wird, als ohnehin schon durch die verdünnte Gasströmung bei technisch glatten Wänden. Da in Spalten von Vakuumpumpen immer eine Überlagerung einer druckgetriebenen Poiseuille-Strömung und einer durch bewegte Berandungen hervorgerufene Couette- Strömung auftritt, wird im Folgenden mittels DSMC-Methode untersucht, wie sich eine derartige Oberflächenstruktur auf eine reine Couette-Strömung auswirkt. Die dazugehörige Simulationsdomain ist in Abb. 8 dargestellt. Bei einer Spalthöhe von h = 0,3 mm wird eine Profiltiefe Λ = 0,03 mm verwendet. Da die Spaltlänge und die Spaltbreite in Vakuumpumpen viel größer als die Spalthöhe sind, wird vereinfachend ein unendlich breiter und langer Kanal simuliert, so dass zur Reduktion des Rechenaufwands in Tiefenrichtung (z) symmetrische und in Strömungsrichtung (x) zyklische Randbedingungen verwendet werden. Letztere haben die Eigenschaft, dass die linke und rechte Zelle so miteinander verknüpft sind, als würde der Kanal fortgesetzt. 50 PROZESSTECHNIK & KOMPONENTEN 2024
Vakuumtechnik Schraubenspindelvakuumpumpen Entsprechend wird ein Teilchen, dass auf der rechten Seite die zyklische Randbedingung kreuzt auf der linken Seite wieder initialisiert und andersherum. Die untere Wand weist eine Wandgeschwindigkeit von U = 10 m/s in positive x-Richtung auf. In der in grün dargestellten Referenzebene wird der Massenstrom bestimmt, indem die Summe der Teilchenmassen in positive x-Richtung abzüglich der Summe der Teilchenmassen, welche die Ebene innerhalb eines Zeitschritts in negativer Richtung kreuzen, berechnet und anschließend durch den Zeitschritt geteilt wird: Gl. 1 Unabhängig vom Druckbereich kann der Massenstrom für eine reine Couette-Strömung mit technisch glatten Wänden über Gl. 2 bestimmt werden, wobei ρ die Dichte und A = h b die Querschnittsfläche des Kanals ist [Ple22a, Ple22b]. Abb. 8: Domain zur DSMC-Simulation einer reinen Couette-Strömung durch einen Kanal mit einseitiger strukturierter Oberflächenbeschaffenheit Abb. 9: Massenstrom einer Couette-Strömung durch einen Kanal mit Oberflächenstrukturen bezogen auf den Massenstrom durch einen Kanal mit glatten Wänden als Funktion des Drucks p für verschiedene Profilwinkel α = β In Abb. 9 ist entsprechend der simulierte Massenstrom einer Cou ette- Strömung für verschiedene Profilwinkel α = β bezogen auf den Massenstrom einer glatten Wand mit gleicher Spalthöhe als Funktion des Druckes für Luft bei T = 293 K dargestellt. Die Fehlerbalken zeigen die maximale statistische Unsicherheit der Ergebnisse an. Es zeigt sich, dass - wie bereits bei der druckgetriebenen Strömung - auch bei einer Scherströmung eine Reduktion des Massenstroms trotz gleicher minimaler Spalthöhe mittels Oberflächenstrukturen erzielt werden kann. Der Effekt ist umso größer, je kleiner der Druck ist, wohingegen der Effekt bei großen Drücken verschwindet. Auch hier lässt sich für Profilwinkel α = β = 30° die größte Einsparung von knapp 30 % erzielen. Zusammenfassung und Ausblick Die theoretischen Untersuchungen legen nahe, dass eine mikroskopische Oberflächenstruktur im Bereich niedriger Drücke eine deutliche Reduktion von bis zu 30 % der Spaltmassenströme in Vakuumpumpen erzielt werden kann, ohne dass die Betriebssicherheit gefährdet wird. Einerseits kann dies bei gleicher Spalthöhe dazu genutzt werden, dass die Maschine bei niedrigeren Ansaugdruckbereichen ein deutlich besseres Saugvermögen aufweist, wie die Messergebnisse von Dreifert und Müller in Bezug auf die Änderung der Spalthöhe zeigen. Andererseits könnte die Idee von Kösters und Eickhoff verfolgt werden, mit der die Spalthöhe auf der Niederdruckseite der Maschine vergrößert wird, um eine Überkompression bei hohen Ansaugdrücken zu reduzieren. Da die Oberflächenstruktur insbesondere bei niedrigen Ansaugdrücken eine deutlich größere Drosselwirkung hervorruft, bei hohen Ansaugdrücken aber kaum einen Effekt zeigt, kann somit eine Überkompression verringert werden, ohne dass die Maschine bei niedrigen Ansaugdrücken schlechter wird. Aufgrund des großen Verbesserungspotenzials werden in einem aktuellen kooperativen Forschungsprojekt vom Fachgebiet Fluidtechnik und dem Institut für spanende Fertigung an der Technischen Universität Dortmund die Anwendbarkeit von Oberflächenstrukturen in verdünnten Gasströmungen näher untersucht. In dem Zuge wird eine Optimierung der Strukturform vorgenommen, um zum einen eine möglichst große Drosselwirkung zu erzielen und zum anderen eine effiziente Fertigung zu ermöglichen. Eine zentrale Herausforderung bei der Fertigung ist die geringe Profiltiefe der Strukturformen – es wird von der Mikrozerspanung gesprochen. Hierbei können die Abmessungen der Grate in der Größenordnung der Strukturformen liegen. Aus diesem Grund wird mit Hilfe einer Finiten-Elemente Spanbildungssimulation ein Sonderwerkzeug entwickelt, wodurch verschiedene geometrische Anpassungen am Werkzeug zur Minimierung der Gratbildung simulativ untersucht werden können. Im Anschluss werden die vielversprechendsten Werkzeugvarianten gefertigt und eingesetzt, um Proben mit den identifizierten Oberflächenstrukturen zu präparieren. Diese werden zum einen messtechnisch ausgewertet, wodurch eine Validierung der Spanbildungssimulation ermöglicht wird und zum anderen auf einem Vakuumversuchsstand eingesetzt, in welchem die Drosselwirkung untersucht werden kann. Acknowledgements Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 513663608. Literaturverzeichnis [Bir94] Bird, G. A.: Molecular gas dynamics and the direct simulation of gas flows (Clarendon Press, Oxford, 1994). [Brü21] Brümmer, B.; Pleskun, H.: Verfahren und Vorrichtung zur Beeinflussung verdünnter Gasströmungen mit Hilfe von Rauheiten aufweisenden Oberflächen, insbesondere an Vakuumpumpen, MEMS, Patent, DE 102021002290, 2021. [Dre14] Dreifert, T.; Müller, R.: Screw Vacuum pumps - The state of the art: International Conference on Screw machines 2014: VDI-Berichte 2228, S. 29-42 (VDI-Verlag, 2014). PROZESSTECHNIK & KOMPONENTEN 2024 51
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