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Genussatelier 1/2021

Iwas wir wollenI Genuss

Iwas wir wollenI Genuss Karl-Heinz Dautzenberg ohne s KONTAKT Karl-Heinz Dautzenberg Mühlenstraße 27a 25462 Rellingen Tel.: +49 (0) 170/338 5675 karl-heinz.dautzenberg@t-online.de www.dautzenbergconsulting.de Kein Genuss ist vorübergehend, denn der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend. Dieser beeindruckende Satz, der in wenigen Worten den Kern des Begriffs Genuss umreißt, stammt natürlich nicht aus meiner Feder, sondern von keinem Geringeren als dem großen deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe. Die Wahrheit dieses Zitats gilt noch heute. Die meisten von uns, die eine schöne Kindheit erlebt haben, denken auch in der Gegenwart gern zurück an die Familientafeln an Sonntagen, auf denen man das eine oder andere Leibgericht fand. Mal war es der festliche Gänsebraten, mal die Hähnchenkeule, mal die Rinderroulade. Jeder Mensch hat eine ganz individuelle Vorstellung von Genuss und assoziiert andere Dinge mit diesem schönen Gefühl. Ja, Genuss beschert uns ein schönes Gefühl! Aber was jeder einzelne damit verbindet, ist eben sehr differenziert. Dies liegt zum einen an der persönlichen Lebenserfahrung, den Lebensumständen und selbstverständlich dem Charakter. Wenn Frau oder Mann Genuss zum Beispiel mit einem bestimmten Duft oder Musikstück verknüpfen und diesen Duft noch einmal spüren oder das Musikstück abermals hören, löst dies im Gehirn eine emotionale Wirkung aus und lässt uns dieses Gefühl noch einmal erleben. Ebenso verhält es sich mit den Lieblingsspeisen. Vor einiger Zeit, es war noch vor der Corona-Pandemie mit ihren entsetzlichen Auswirkungen, betrat ich auf einer Dienstreise in Süddeutschland ein Restaurant und traf dort durch Zufall einen alten Bekannten, der gerade die Speisenkarte studiert hatte. Wir begrüßten uns, und er erzählte voller Freude, dass er glücklich ist, endlich mal wieder in einem Lokal sitzen und einen deftigen Schweinebraten mit Knödeln und einer schönen geschmackvollen Sauce genießen zu können, so, wie er es von früher kennt. Und auch ich erinnerte mich in dieser Sekunde an solche Momente aus älterer Zeit und schloss mich der Bestellung an. Es war ein fabelhafter, genussvoller Abend bei altgewohnter Hausmannskost und süffigem Bier. Genuss ist der Inbegriff für Lebensfreude Das heißt natürlich nicht, dass uns keine neuen Eindrücke Genuss bereiten. Denn wer immer auch für Neues offen ist und sich nicht mit unnötigen Vorurteilen durch die Tage schleppt, hat es einfacher im Leben und hat viel häufiger Gelegenheit, Genuss zu verspüren. Für mich übrigens ist Genuss der Inbegriff für Lebensfreude. Es ist eine Sinnesempfindung, die im Gehirn positive Gefühle auslöst. Mindestens ein Sinnesorgan ist beim Genuss beteiligt, was der Grund dafür ist, dass Genuss so viele Gesichter hat. GENUSSATELIER//01 6

Iwas wir wollenI chlechtes Gewissen Meine Sinnesfreude hat sich allerdings ein bisschen getrübt, seit die Corona-Pandemie unser Leben bestimmt. Wir können nicht mehr ins Restaurant gehen, uns mit Freunden und der kompletten Familie treffen. Mag ja bald – dies ist die Hoffnung – wieder besser werden, aber die vergangenen Monate waren doch mit erheblichen Einschränkungen verbunden, die unseren Tagesrhythmus veränderten. Wir kochen wieder häufiger, und bei einer dieser Aktionen am Herd, als ich zwei Rindersteks in die heiße Pfanne legte, kam mir der Gedanke, ob uns Genuss ein schlechtes Gewissen bereiten muss. Denn ein saftiges Steak – so köstlich dieses Erlebnis für mich als Freund aller Ernährungsarten auch ist – hat natürlich nicht gerade den besten ökologischen Fußabdruck. Dass Fleisch, wenn es um die Belastung von CO ² und Methan geht, pflanzliche Kost hingegen eine saubere Sache ist, erscheint heute vielen Konsumenten, die sich möglichst umweltschonend ernähren wollen, als selbstverständlich. Doch die Rechnung, dass Obst, Gemüse und Getreide sowie andere pflanzliche Produkte immer ökologisch gut und tierische Waren im Vergleich dazu durchweg umweltschädlich sind, geht nicht unbedingt auf. Sie kommt zum Beispiel schon ins Wanken, wenn Keniabohnen, Beeren, Frühkartoffeln, Weintrauben und Spargel außerhalb unserer heimischen Saison oder reine Südfrüchte wie Ananas, Mango und Avocado über den Luftweg in unsere Wohnungen und Häuser kommen. Denn was schnell mit dem Flieger in den Geschäften unserer Städte landen soll, belastet die Umwelt erheblich mit Kohlendioxid. Auf diese Weise kann die importierte Flug-Ananas ungünstigere Werte verzeichnen als ein Stück Fleisch von einem Tier, dass auf artgerechte Weise auf einem Hof in der näheren Umgebung weiden darf. Kunden möchten heute das ganze Jahr über frisches Gemüse haben Aber auch Gemüse, das nicht aus weit entfernten Ländern kommt, kann kräftig zu einem hohen Ausstoß von Treibhausgasen beitragen, wenn die Sorten nicht in ihrem natürlichen Wachstumszyklus gehalten, sondern in beheizten Gewächshäusern gezüchtet werden. Denn die Konsumenten möchten heute das ganze Jahr über frisches Gemüse erwerben. Saisonzeiten werden allenfalls noch beim Spargel berücksichtigt. Es gibt natürlich – wenn wir an den Genuss all der Lebensmittel denken, die uns in den Monaten der Corona-Krise das Leben erleichtert haben und nach wie vor verschönen – noch andere Aspekte in Sachen Ökologie zu berücksichtigen. Etwa die biologische Vielfalt, die Tiergesundheit oder die Frage, ob umweltschädigende Substanzen wie Pestizide und Nitrate eingesetzt werden. So kann der Treibhausausstoß eines Produkts zwar gering sein, dessen Auswirkung auf die Biodiversität hingegen schlecht. Oder nehmen wir den Kaffee, dessen Duft wir täglich in der Nase haben und ihn genießen: Obwohl er ein rein pflanzliches Produkt ist, gibt es erhebliche Zweifel an seiner umweltfreundlichen Herkunft. Denn zugunsten lukrativer Plantagen werden oft Regenwälder gerodet. Diese für unsere Erde so wichtigen Biotope fallen riesigen Agrarflächen zum Opfer, auf denen dann Ölpalmen, Mais und Soja in Monokulturen angebaut werden. Verzichten müssen wir auf Genuss nicht. Wir sollten bei unserer Ernährung nur ein bisschen aufmerksamer sein. Am besten ist es, regionalen, zumindest halbwegs saisonalen und möglichst wenig verarbeiteten Produkten den Vorzug zu geben und bei Fleisch auf die Herkunft zu achten. Möglichst Biofleisch mit hofeigenem Futter kaufen, trotz der höheren Preise. Deshalb habe ich mich entschieden, ohne schlechtes Gewissen zu genießen. Einen eleganten schottischen Whisky, edle Schweizer Schokolade aus afrikanischem Kakao, aromatischen Kaffee aus südamerikanischem Anbau, auch einen Zigarillo aus edlem amerikanischen Tabak nach einem schmackhaften Sonntagsessen möchte ich nicht missen, zum Beispiel nach einem Schweinebraten mit Kartoffelknödeln und einer kräftigen braunen Sauce. Das nenne ich Genuss. Es muss ja nicht immer Kaviar sein, um mal den Buchtitel des Schriftstellers Johannes Mario Simmel zu strapazieren. ein fng magazin 7

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