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fng MAGAZIN 3 2023

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#ZUKUNFT SCHMECKT + + +

#ZUKUNFT SCHMECKT + + + Aktuelle Mitteilungen des Lebensmittelverband e.V. + + + + Weitreichende Werbeverbote Der Lebensmittelverband Deutschland hat im Rahmen der Diskussion um das sogenannte Kinder-Lebensmittel- Werbegesetz (KLWG) zwei Gutachten in Auftrag gegeben, die sich juristisch bzw. naturwissenschaftlich mit dem Vorhaben der Werbeverbote auseinandersetzen. Das wissenschaftliches Gutachten zur Aussagekraft ausgewählter Studien zum Zusammenhang zwischen Werbeexposition und der Ernährungsweise von Kindern wurde von den Statistikexperten Katharina Schüller, Geschäftsführung STAT-UP GmbH und Vorstand der Deutschen Statistikgesellschaft, und Prof. Walter Krämer, Prof. em. Technische Universität Dortmund, vorgelegt. Das Fazit der beiden Autoren: Die analysierten Studien liefern keine Belege für eine Rechtfertigung eines Werbeverbotes. Denn das Gutachten zeigt: Die Evidenz eines unmittelbaren, kausalen Zusammenhangs zwischen der Werbeexposition von Kindern und vermehrtem Übergewicht bis hin zu Adipositas ist nicht gegeben! Warum das Gutachten? Seit Monaten läuft eine hitzige Debatte um das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geplante Werbeverbot für Lebensmittel. Bundesminister Cem Özdemir betont, dass es sich um ein Verbot für Werbung handelt, die sich explizit an Kinder richtet. Allerdings ist das so nicht richtig, denn die Pläne sehen bereits Verbote vor, wenn die Werbung von Kindern wahrgenommen werden kann. So wäre Werbung im Fernsehen zwischen 6 und 23 Uhr komplett betroffen, wenn die Produkte bestimmte Nährwert-Kriterien nicht erfüllen, nur weil Kinder potenziell in dieser Zeit Werbung sehen können. Bei den Nährwert-Kriterien orientiert sich das BMEL an dem WHO-Nährwertprofilmodell für Europa. Damit dürfte für ca. 70 Prozent aller Lebensmittel nicht mehr geworben werden, eingeschlossen viele Käse- und Wurstsorten sowie Fleischersatzprodukte oder Marmelade. Auswahl der Studien nach Relevanz für Debatte Begründet wird das Werbeverbot mit einer Reihe von wissenschaftlichen Studien, die angeblich zeigen, dass Werbeverbote zielführend seien. Genau diese Studien haben Katharina Schüller und Prof. Dr. Walter Krämer angeschaut und analysiert. Die Studien mussten dabei zwei Kriterien hinsichtlich ihrer Relevanz für die Debatte um ein Werbeverbot erfüllen: Sie wurden entweder von relevanten Akteuren oder der Politik zitiert oder sie dienen als Referenz in diesen zitierten Arbeiten und bilden so die Basis für die Ergebnisse der zitierten Studien. Studien der Befürworter weisen hohe methodische Mängel auf Das Gutachten zeigt umfassend auf, dass keine wissenschaftlich-statistische Basis in der Literatur existiert, die einen kausalen Einfluss von Werbung für Lebensmittel, die hinsichtlich ihres Zucker-, Salz- oder Fettanteils nicht den Anforderungen des WHO-Nährwertprofilmodells für Europa entsprechen, auf die Gesundheit von Kindern darlegt. Die Autoren kommentieren: Prof. Walter Krämer: „Man muss sich schon sehr wundern. Sämtliche von uns untersuchten Studien beruhen auf zweifelhaften Annahmen, sind oft methodisch schwach und von fragwürdiger Qualität – oder haben einen ganz anderen Forschungsgegenstand. Statt schlüssiger Beweise stützen sich viele Arbeiten auf Schätzungen und Scheineffekte, die wissenschaftlicher Nonsens und kaum geeignet sind, ein Werbeverbot für Lebensmittel zu rechtfertigen.“ Katharina Schüller: „Zum einen haben wir es in der Debatte mit Studien zu tun, die aufgrund methodischer Mängel mit Vorsicht zu genießen und nicht auf den Alltag übertragbar sind. Andere Studien werden fahrlässig oder absichtlich von Befürwortern eines Werbeverbots missinterpretiert und dienen offensichtlich nur als Alibi in der öffentlichen Diskussion. Ein solcher Umgang mit Studien schadet der Wissenschaft und der Debattenkultur.“ 40 MAGAZIN 3 2023

#ZUKUNFT SCHMECKT + + + + + + Aktuelle Mitteilungen des Lebensmittelverband e.V. ohne wissenschaftliche Evidenz stehenden Reglementierungen sind vor allem Hinweispflichten (die besonders der EuGH betont) und die Beschränkung auf Werbeformate, die „an Kinder gerichtet sind“ zu nennen. Auf der Hand liegen ferner Maßnahmen zur Bekämpfung der zahlreichen belegten Ursachenfaktoren für Übergewicht und Adipositas, dies v.a. in den unmittelbar staatlich beherrschten Aktionsräumen, in denen sich Kinder heute bewegen. In diesen Aktionsräumen kann der Staat das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Kinder weitgehend nach seinen Vorstellungen steuern. Bei all dem ist zu beachten, dass Eingriffe in die Kommunikationsfreiheiten grundsätzlich nachrangig sind. Ein noch weniger geeignetes, gleichheitswidriges und daher nicht alternativ einsetzbares Mittel wäre hingegen die Reduzierung des Kreises der erfassten Lebensmittel. Eine solche Reduzierung hätte zur Konsequenz, dass die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verzehr dieser Lebensmittel und der Zunahme von Übergewicht und Adipositas noch weniger plausibel bzw. nachvollziehbar wäre. Entwurf des Kinder-Lebensmittel- Werbegesetz ist verfassungs- und europarechtswidrig Bereits im April hatte der Lebensmittelverband gemeinsam mit dem Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) ein juristisches Gutachten bei Professor Dr. Martin Burgi, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht der Ludwig-Maximilians-Universität München, in Auftrag gegeben. Die Rechtswissenschaftliche Untersuchung kommt zu folgenden Ergebnissen: 1. Der Referentenentwurf des BMEL vom 14.2.2023 enthält ein komplexes System von Verboten, das die Werbung für ca. 70 bis 80 Prozent aller Lebensmittel erfassen würde. Es besteht aus einem sehr weitreichenden Teilverbot, das auch Werbemaßnahmen gegenüber Erwachsenen (etwa im Zusammenhang mit Sportereignissen oder in allen Fernsehsendungen bis 23 Uhr) betrifft. Sodann wird ein Totalverbot für Lebensmittelwerbung, die „ihrer Art nach besonders dazu geeignet ist, Kinder zum Konsum zu veranlassen oder darin zu bestärken“ vorgeschlagen, das auch Sponsoringmaßnahmen umfassen soll. 2. Dabei gibt es nach eigener Aussage des BMEL keine belastbaren Studien zur Wirkung von Werbeverboten für die als solche ja weiterhin erlaubten Lebensmittel. Nach Anwendungsbereich und Eingriffsintensität unterscheidet sich der Referentenentwurf signifikant von vorherigen politischen Verlautbarungen im Koalitionsvertrag. 3. Das vorgesehene Verbotssystem würde erhebliche Eingriffe in die Wirtschaftsgrundrechte der Werbeunternehmen und der Hersteller bzw. Vertreiber der Lebensmittel (Art. 12 Abs. 1 u. 2 Abs. 1 GG) bewirken. In bislang unbekannter Intensität wäre die besonders sensible Kommunikationsordnung (mehrere Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG) gestört, ebenso der europäische Binnenmarkt (Waren- und Dienstleistungsfreiheit nach Art. 34 bzw. 56 AEUV). Damit einher geht die Gefahr eines Dammbruchs. 4. Der Schutz der Gesundheit von Kindern ist selbstverständlich ein legitimerweise durch den Gesetzgeber verfolgter Gemeinwohlbelang. Vor allem im Hinblick auf die Kommunikationsgrundrechte ergeben sich aber aus dem Grundgesetz spezifische Anforderungen für den Umgang mit der Rechtfertigungsgrundlage. Diese führen im Ergebnis zu strengeren Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere zu erhöhten Anforderungen an die tatsächlichen Anhaltspunkte, die die Gefahrenprognose des Gesetzgebers stützen sollen. 5. Vor allem aus den Kommunikationsgrundrechten, aber auch aus den beeinträchtigten Grundfreiheiten des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ergeben sich erhöhte Anforderungen an die behaupteten tatsächlichen Anhaltspunkte, die nach Auffassung des Gesetzgebers seine Gefahrenprognose stützen sollen. Sowohl dem Totalverbot als auch (und insbesondere) dem Teilwerbeverbot nach fehlt bereits die für Eingriffe in die Grundrechte zu fordernde Plausibilität. Jedenfalls ist die Geeignetheit der beiden Werbeverbote aufgrund des defizitären Umgangs mit empirischer Evidenz zu verneinen. Im Hinblick auf die Grundfreiheiten des AEUV bzw. die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG ist von vornherein mehr zu fordern als Plausibilität. Vielmehr bedarf es insoweit der Nachvollziehbarkeit bzw. Kohärenz der Eingriffsmaßnahmen, die beide erst recht zu verneinen sind. 6. Das Verbotssystem des § 4 RefE kann auch dem Erforderlichkeitsgebot (Übermaßverbot) nicht standhalten. Denn es gäbe mehrere, ggf. in Kombination einsetzbare, mindestens gleich geeignete alternative Handlungsmittel. Neben den erst vor kurzem verschärften und noch gar nicht evaluierten be- 7. Die unter dem Prüfungspunkt der Angemessenheit erfolgende Gesamtabwägung gelangt zu dem Ergebnis, dass nach Breite und Tiefe einschneidende Grundrechtseingriffe infrage stehen, die einen allenfalls geringen Bezug zum verfolgten Gemeinwohlbelang des Schutzes der Gesundheit der Kinder haben. Das liegt auch an der vollständigen Missachtung der Schutz- und Förderfunktion, die die Eltern gerade im Interesse des Gesundheitsschutzes ihrer Kinder wahrnehmen. Im Hinblick auf die Erwachsenen kommt hinzu, dass der Staat jedenfalls im Hinblick auf den Umgang mit Lebensmitteln, die nicht schon für sich gefährlich oder gar verboten sind, kein Mandat für den Schutz jener Erwachsenen gegen sich selbst besitzt. Hinzu treten gleichheitswidrige Differenzierungen und eine sachlich nicht zu rechtfertigende sog. Inländerdiskriminierung. 8. Die rechtswissenschaftliche Untersuchung der materiellrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes und des AEUV gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die durch den Referentenentwurf des BMEL implementierte Verbotspolitik betreffend die Werbung für Lebensmittel (aufgrund ihres Zucker-, Fett- oder Salzgehalts) verfassungs- und europarechtswidrig ist. Dies gilt sowohl für das adressatenunabhängige Teilwerbeverbot als auch für das Totalverbot bei Adressierung der Werbung an Kinder. fng-magazin: Der Markenmonitor für den Lebensmittelhandel 41

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