VON DREI SEITEN BETRACHTET Nachhaltigkeit – ein vieles verspricht, Glauben wir der Werbung, war es nie leichter und erschwinglicher, ein nachhaltiges Leben zu führen. Das lockt zum Kauf von Produkten, die für umweltfördernde Artikel stehen. Längst ist klar, dass unsere Lebensweise, unsere Produkte und unsere Wirtschaft insgesamt nachhaltiger werden müssen. Anders ist der Klimawandel nicht in den Griff zu bekommen. Wer in seinem Bekanntenkreis mal so herumhört und erforschen möchte, was sie oder er unter dem Begriff Nachhaltigkeit versteht, stößt zunächst auf Momente nachdenklichen Schweigens. „Na, was Gutes für die Umwelt eben“, lautet zumeist die kurze Antwort. Und alle beeilen sich dann hinzuzufügen, dass sie beim Einkauf immer häufiger zu Produkten greifen, die Nachhaltigkeit versprechen, nicht nur bei Lebensmitteln, sondern sogar bei Textilien. Das ist eine lobenswerte Entscheidung: Einkaufen stets mit dem Blick darauf, was der Umwelt guttut, den Nutztieren und natürlich den Menschen, die ja hinter all dem stehen, was zum Beispiel auf unsere Teller kommt und was wir am Körper tragen. Alles nachhaltig. Und so ist es nicht verwunderlich, dass seit Jahren der Handel – gleich ob Supermärkte oder Discounter – kaum stärker die Werbetrommel rühren als mit dem Versprechen für eine schöne Umwelt. Die Händler wissen sehr genau, dass für die Verbraucher der umweltbewusste Konsum immer wichtiger wird und bieten Bio-Artikel und regionale Produkte mittlerweile zu Preisen an, die sich selbst Konsumenten mit weniger prall gefüllten Portemonnaies leisten können. Die gegenwärtigen Krisen wie der Klimawandel, die Energieprobleme und nicht zuletzt der verheerende Krieg Russlands gegen die Ukraine haben den Trend zu einer nachhaltigen Lebensweise noch verstärkt. Und dass die Verbraucher damit auf dem richtigen Pfad sind, untermauert ihnen auch die Politik, denn Landwirtschaftsministerium und Umweltbundesamt setzen immer wieder lautstark auf nachhaltige Ernährung. Das Konzept der Nachhaltigkeit hat eine lange Geschichte Doch wer mal einen kritischen Blick hinter die zahllosen Versprechen für eine gesunde Welt wirft, erkennt schnell, dass Nachhaltigkeit – dieses hehre 34 MAGAZIN 3 2023
VON DREI SEITEN BETRACHTET dehnbarer Begriff, der aber nicht alles hält Wort – inzwischen mächtig an Reputation verloren hat. Denn zwischen der eigentlichen Bedeutung des Begriffs und dem, wofür er heute genutzt wird, klafft nicht selten eine Lücke. Einst galt das Wort als Schlüsselkonzept für ein besseres Leben im 21. Jahrhundert. Vielfach ist es heute nicht mehr als eine Worthülse. Hinter dem Konzept der Nachhaltigkeit steckt eine großartige Idee. Und die hat eine lange Geschichte. Sie führt in die Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts und ist mit einem kurzen Satz erklärt: Schlag‘ im Wald nur so viel Holz wie auch wieder nachwächst. Es liegt auf der Hand, dass sich das Konzept im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt hat bis hin zu einer sozialen und ökonomischen Komponente. Doch der Kern ist unverändert: Ressourcen sollen so abgebaut und genutzt werden, dass weder Mensch noch Natur zu Schaden kommt. Die Aussicht auf Profite zieht Trittbrettfahrer an Immer mehr Konsumenten ist klar, wie wichtig dies ist. Und für immer mehr Menschen ist Nachhaltigkeit deshalb ein Kaufangebot. Das hat viel Positives für unser Leben bewirkt und in etlichen Branchen zum Umdenken geführt. Doch zugleich passierte, was in Wachstumsmärkten oft geschieht: Die Aussicht auf Profite zieht Trittbrettfahrer an. Heute gibt es von jenen, die in punkto Nachhaltigkeit mehr versprechen, als sie halten können, so viele wie nie zuvor. Wieso aber hat solche Schummelei keine Folgen und am Markt zudem Erfolg? Weil der Begriff Nachhaltigkeit in der Werbe- und Unternehmenspraxis zu einem höchst dehnbaren Begriff geworden ist. Weil eine allgemeine Definition und ein rechtlich verbindlicher Kriterienkatalog bis heute fehlen, kann praktisch alles als nachhaltig bezeichnet werden. Firmen können also ihrer Kundschaft das Blaue vom Himmel versprechen. Solche Irreführung ist durchaus lukrativ. Und wer mal auffliegt in unserer schnelllebigen Zeit? Was soll´s, mehr als ein vorübergehender Reputationsverlust ist nicht zu befürchten und schnell vergessen. Dabei schürt die zweifelhafte Nutzung des Begriffs Nachhaltigkeit echte Gefahren. Wer vermittelt, gutes und bewusstes Leben sei mit minimalem Aufwand zu haben, schafft selbstzufriedene Konsumenten ohne Gewissensbisse und fördert deren Passivität nach dem Motto: „Die Firmen machen das schon“. Eigene Gedanken für umfassende Lösungen unserer kranken Welt bleiben auf der Strecke. Kommen wir auf den Lebensmittelbereich zurück. Seit Jahren überbieten sich die Hersteller bei der Anpreisung ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten. Nehmen wir den Kakaoanbau. Schokolade, die als nachhaltig oder fair beworben wird, stammt noch immer häufig von Bauernfamilien in den Anbauländern, die am Rande des Existenzminimums leben. Ihnen geht´s kaum besser als anderen Farmern. Teures Fleisch von südamerikanischen Rindern aus artgerechter Haltung wird in deutschen Geschäften angeboten. Aber es bleibt unerwähnt, dass die Tiere auf Weiden grasen, wo zuvor üppiger Regenwald gestanden hatte. Bio-Produkte aus anderen Ländern liegen in den Regalen ohne Hinweis auf lange Transporte mit hohen CO ² -Emissionen. Dies sind nur einige von zahlreichen Beispielen fragwürdiger Nachhaltigkeit. Selbstverständlich wäre es falsch, die Bemühungen so vieler Unternehmen für mehr Nachhaltigkeit allgemein ins schlechte Licht zu rücken. So engagieren sich fast alle Händler bei der Initiative Tierwohl. Das Label soll dem Konsumenten bei der Beurteilung der Tierhaltung, des Transports und der Schlachtung helfen. In diesem Jahr wollen die meisten Händler das Label über die Fleischund Wurstwaren hinaus auf Milchprodukte ausdehnen. Gerade erst hat der Bundestag ein Gesetz für eine staatliche Tierhaltungs-Kennzeichnung verabschiedet. Danach muss bei Fleisch angegeben werden, unter welchen Bedingungen die Tiere gehalten wurden. Im ersten Schritt soll diese Regelung im Handel für frisches Schweinefleisch aus Deutschland gelten. Das Gesetz, das überwiegend auf Zustimmung in der Gesellschaft stößt, soll dann auf weitere Tierarten wie Geflügel ausgeweitet werden. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Grüne, will damit den Tierschutz stärken und für mehr Transparenz bei Verbrauchern sorgen. Solche Regelungen sind ein Ansatz, Nachhaltigkeit mit Leben zu erfüllen. Aber reicht das? In verschiedenen Ländern hat die Politik inzwischen erkannt, dass sie eine stärkere Rolle zu spielen hat bei der Beantwortung der Frage, was Nachhaltigkeit ist und wie sie letztlich umgesetzt werden kann. So sollen nach dem Willen der EU in Brüssel Unternehmen künftig nicht nur über Umsatz, Gewinn und Verlust öffentlich Rechenschaft ablegen, sondern auch Fragen zum Klimaschutz und zu Menschenrechten beantworten. Und was bleibt für Käuferinnen und Käufer zu tun? Wer echte Nachhaltigkeit will, muss kritisch unter die Lupe nehmen, was sich tatsächlich hinter den Versprechen in der Werbung, auf den Produktpackungen und den vielen Labels verbirgt. Im Grunde ist das die notwendige Pflicht all jener, denen an der Zukunft unserer Welt gelegen ist. Aber mal ehrlich: Wer unterzieht sich dieser Mühe? fng-magazin: Der Markenmonitor für den Lebensmittelhandel 35
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